Auf Google Earth kann man mit der Lineal-Funktion die genaue Distanz zwischen zwei Punkten ermitteln. 68 km trennen Nomtsas und Voigtsgrund, woher die Schildkröte ursprünglich kam. Mein Vater erhielt sie als Kind geschenkt. Eigentlich sollte man so etwas nicht tun, doch damals wusste man es nicht besser. Um sicherzustellen, dass „seine“ Schildkröte nicht mit denen seiner Geschwister verwechselt wurde, ritzte er unser Familienwappen in ihren Panzer.
Irgendwann schaffte es das Reptil jedoch, aus ihrem Gehege auf Nomtsas zu entkommen. Trotz des komfortablen Lebens mit Salat, Luzerne und dem Schatten eines Prosopisbaums schien die Freiheit doch verlockender zu sein als das ständige gute Leben.
Viele Jahre später erhielt mein Vater die Nachricht, dass „seine“ Schildkröte auf Voigtsgrund angekommen sei.
Google liefert allerlei interessante Informationen über Pantherschildkröten: Sie können bis zu 50 km weit wandern, kommen gut vier Wochen ohne Wasser und Nahrung aus und werden ähnlich alt wie Menschen – ungefähr 100 Jahre. Doch die Schildkröte meines Vaters hätte erhebliche Umwege machen müssen, um die steilen Klippen des Nama-Eskarpements (auch Schwarzrand genannt) zu überwinden und Voigtsgrund zu erreichen. Da es unterwegs kein offenes Wasser gibt, scheint diese Wanderung eigentlich unmöglich. Dennoch ist es Fakt, dass sie über Jahre hinweg vermutlich über 100 km zurückgelegt hat – und dabei präzise den Punkt ihrer Geburt ansteuerte.
Auf Nomtsas, meiner Farm, die ich wie einen Schatz hüte und beschütze, finden wir immer wieder Pantherschildkröten. Eine davon hatte so enge Jahresringe, dass sie vermutlich älter war als mein Großvater. Auch sie hatte kein offenes Wasser zur Verfügung. Wer unsere Halbwüste kennt, weiß, dass nur ein Leck an einer Wasserstelle gelegentlich für Erleichterung sorgt.
Vor ein paar Wochen waren wir auf Pirschfahrt im Mahango-Park in der nordöstlichen Zambezi-Region, als ein plötzlicher starker Regen einsetzte – wohl der erste des Jahres. Wasser sammelte sich auf den Jeeptracks, den tiefsandigen Doppelspuren. Schildkröten, die wir nur sehr selten zu Gesicht bekommen und wenn überhaupt erst nach einem Regen, kamen aus dem Gebüsch. Sie tranken, und tranken, und tranken – minutenlang streckten sie ihre langen Hälse aus den massiven Panzern und tauchten ihre Köpfe tief ins Wasser.
Ich hätte gern gewusst, wie viel Wasser sie aufnehmen und wie lange diese Reserve hält. Leider bleibt das ein Rätsel. Ich weiß jedoch, dass die Fähigkeit der Pantherschildkröte, ohne Wasser und Nahrung auszukommen, stark unterschätzt wird. Meine eigenen Erfahrungen mit diesen wahren Überlebenskünstlern widersprechen vielen Informationen aus Büchern und dem Internet. Es ist klar, dass wir diesen faszinierenden Tieren mehr Respekt, Schutz und Achtung entgegenbringen sollten.
In Namibia sind wir mit Spezialisten gesegnet, einer davon ist Alfred Schleicher. Er hat auch das wunderbare Buch „Reptilien Namibias“ verfasst. Er reagierte folgendermassen auf meine Fragen: „Guten Morgen Herr Voigts. Landschildkröten verfügen über eine sogenannte Analblase die zumindest einen wenn auch geringen Flüssigkeitsvorrat für karge Zeiten ermöglicht. Zudem sind die Tiere hochgradig spezialisiert und vermögen lange Trockenperioden durch eine erhebliche Reduktion des Stoffwechsels zu überleben. Gelingt aber nicht immer!! Mich fasziniert dabei auch, dass diese Reptilien nach monatelanger Ruhephase problemlos losmarschieren um zu trinken und den „neuen“ Lebenszyklus erneut und unbeschwert anzugehen. Wir hätten da mit ganz anderen Einschränkungen zu kämpfen. Schildkröten können Trockenzeiten unterschiedlich lange überdauern. Dammschildkröten bis zu 6 Jahre! Bei Landschildkröten ist das deutlich weniger und auch von Faktoren wie Grösse, Rückzugsort und allgemeiner körperlicher Verfassung abhängig. Grüße aus Windhoek, Alfred Schleicher“
Im Addo Elephant Park liegt an der Rezeption ein riesiger Panzer einer Pantherschildkröte, die liebevoll „Domkrag“ genannt wurde – auf Afrikaans „Wagenheber“. Sie kroch gern unter Safari-Fahrzeuge und hob diese leicht an. Das hätte ich gern miterlebt! Obwohl Pantherschildkröten selten über 40 kg wiegen, muss Domkrag deutlich größer und schwerer gewesen sein.
Interessanterweise leben Pantherschildkröten nachweislich länger in der Wildnis als in Gefangenschaft – oft über 100 Jahre, während sie in Zoos maximal 75 Jahre alt werden. Männchen kämpfen lautstark um Weibchen, und der Paarungslärm ist fast unverschämt. Indem sie den Boden mit Urin nässen und damit festigen, legen die Weibchen ihre Eier in selbstgegrabene, tiefe Löcher. Aus den wärmeren Eiern schlüpfen weibliche Tiere, aus den kühleren männliche.
Ab Mai graben sie sich tief ein, um Winterschlaf zu halten – ich vermute, dieser dauert länger, als wir bisher annehmen.
Der größte Feind der Pantherschildkröte sind übrigens keine Greifvögel, die sich gelegentlich Jungtiere holen. Es ist wieder einmal der Mensch, der sie als Haustiere hält und dabei Krankheiten und Keime in Regionen einschleppt, gegen die die einheimischen Schildkröten nicht resistent sind.
Ach ja, wo wir gerade beim Thema sind: In Uganda haben wir auf der letzten Reise eine Bell’s Hinged Tortoise, also eine Glattrand-Gelenkschildkröte, gesehen. Man muss sich das mal vorstellen – die Evolution stattet diese sonst eher unbeholfenen Tiere mit einem Scharnier im Panzer aus, damit sie ein bisschen athletischer werden. Unglaublich! Aber um ehrlich zu bleiben muß sicherlich erwähnt werden, dass auch dieser Panzer recht rigide wirkt 🙂
Zuletzt aktualisiert am 5. Dezember 2024 durch Albert Voigts von Schütz